Lilly Bernstein: Sturmmädchen

Als „Lilly Bernstein“ schrieb die Kölner Journalistin Lioba Werrelmann mit „Sturmmädchen“ bereits ihren dritten Roman. Für mich war es das erste Buch von ihr, das ich gelesen habe, aber bestimmt nicht das letzte!
Als solche ist die Geschichte in diesem ergreifenden, historischen Roman nicht neu: es geht um drei Mädchen/junge Frauen, die eng miteinander befreundet und ihrem großen Versprechen „Alle für eine – eine für alle“ jahrelang treu geblieben sind.
Aber dann bricht die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte an und sie müssen die Erfahrung machen, dass ihre bislang unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit auf einmal vorbei ist als die Nationalsozialisten auch vor ihrem (fiktiven) kleinen, abgelegenen Eifeldorf in der Nähe der belgischen Grenze nicht halt machen. Sie merken, dass ihre unterschiedliche Herkunft, die bisher für ihre Freundschaft überhaupt keine Rolle spielte, plötzlich ihre Zukunft bestimmt, dass bestimmte Entscheidungen ganz gefährlich werden können und auch, dass man sich nicht einfach so verlieben darf…

Es gibt zwar schon sehr viele Romane, die dieses Thema aufgegriffen haben, aber da es bei Büchern auch immer darauf ankommt, WIE eine Geschichte erzählt wird, konnte ich diesem Buch nicht widerstehen.

Die Autorin nimmt uns also mit in die Zeit zwischen 1933 und 1940.
Wir lernen die Freundinnen Käthe, Elli und Margot kennen und erfahren viel über ihre familiären Hintergründe: über Käthe, die zusammen mit ihrem Vater und ihren Brüdern in eher ärmlichen Verhältnissen lebt und tatkräftig im Haushalt mithelfen muss; über die etwas verwöhnte Margot, eine Jüdin aus gutem Hause, deren Eltern, Unternehmer aus Aachen, ein Ferienhaus im Dorf besitzen, und über Elli, Halbwaise, Tochter von Alma, der einzigen Hebamme im Umkreis, die mit ihrer Mutter auf dem Bauernhof der Familie Janssen wohnen darf. Hinzu kommt, dass Elli durch ihre Gehbehinderung von allen als „das Hinkemädchen“ verspottet wird.
Die drei Freundinnen sehen diese Unterschiede nicht; sie verbringen gern ihre gemeinsame Zeit in der Natur, zum Beispiel beim Baden am Perlenbach. Es ist alles wunderbar. Aber dann kommt irgendwann der Vorabend zum ersten Tag des zweiten Weltkriegs.
Mit dem historischen Wissen von heute, ahnt man als Leser bereits, was auf die drei jungen Frauen zukommen wird.
Käthe sieht für sich persönlich eine Chance auf positive Veränderung, sie ist von der neuen Ideologie begeistert und schließt sich dem Frauenbund an, während Margot bald um ihr Leben und das ihrer Familie fürchten muss. Elli ist anfangs noch recht naiv und merkt erst spät, was sich alles für sie und ihre Freundinnen verändert hat.
Im weiteren Verlauf wird sie zur Hauptprotagonistin und wir fühlen, hoffen, kämpfen, leiden förmlich mit ihr, drücken die Daumen, dass ihre Pläne aufgehen. Wir bewundern ihren Mut und ihre unermüdliche Tatkraft, sehen, wie sie über sich hinauswächst und verfolgen ihre Wandlung vom unbedarften Mädchen zur selbstbewussten jungen Frau.
Gut recherchiert und schonungslos offen verwebt Lilly Bernstein historische Fakten mit Fiktion. Das Buch ist in der Tat keine ganz leichte Kost; die schwere Zeit von damals wird sehr ergreifend geschildert; ich musste so manches Mal schlucken uns es hat mich fassungslos gemacht, darüber zu lesen, wie grauenvoll die damalige Zeit für Menschen gewesen ist, die aus welchem Grund auch immer, nicht ins System gepasst haben…

Mit „Sturmmädchen“ liegt uns hier ein sehr emotionaler Roman vor, leider ein Zeitzeugnis… traurig, aber auch durchaus hoffnungsvoll und mutmachend. Klare Leseempfehlung!
Und vielleicht gibt es ja auch noch eine Fortsetzung...